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Aktuelles

02.02.2020

„Die ganze Stadt im Blick“ - Peter Tschentscher im Bergedorfer Interview

Bergedorf extra: Peter Tschentscher, seit neun Jahren regiert die SPD in der Freien und Hansestadt Hamburg. Wie ist Ihre Bilanz?

Peter Tschentscher: Hamburg steht gut da. Wir haben den Sanierungsstau und das Chaos, das CDU und Grüne 2011 hinterlassen hatten, überwunden und ordentliches Regieren wieder zum Markenzeichen des Hamburger Senats gemacht. Unser Rezept ist einfach: Wir beschreiben Probleme nicht nur, wir lösen sie. Wir versprechen nicht nur, dass man etwas tun könnte, wir liefern auch.

Bergedorf extra: Ihr Motto lautet: Die ganze Stadt im Blick. Was meinen Sie damit?

Peter Tschentscher: Es ist in der Politik Mode geworden, Einzelgruppen zu vertreten. Und so stehen sich viele Gruppen zunehmend unversöhnlich gegenüber: Radfahrer und Autofahrer, Klimaschützer und Industrie, Wohnungssuchende und Wohnungsbesitzer. Das ist nicht gut. Es braucht eine Partei, die alle Interessen ernst nimmt, die vermittelt, die gute Lösungen sucht und sich dann auch traut, etwas zu ändern. Denn es ist nicht besonders mutig, etwas zu fordern und zu versprechen. Das kann jeder und jede. Mut kommt dann ins Spiel, wenn es um die konkrete Umsetzung geht. Das ko?nnen wir, und das machen wir.

Bergedorf extra: Steigende Mieten sind ein Problem in allen deutschen Großstädten. Haben sie gehandelt?

Peter Tschentscher: Und wie. Gegen steigende Mieten hilft nur eines: Wohnungen bauen! Auf die Idee hätte man auch schon früher kommen können. Leider hatten CDU und Grüne bis 2011 den Wohnungsbau praktisch eingestellt. Das haben wir geändert: Mit zunächst 6.000, dann 10.000 Genehmigungen pro Jahr liegen wir an der Spitze aller Bundesländer. Der Erfolg: Während die Mieten bei Neuvermietungen seit 2012 in allen Großstädten dramatisch steigen, zum Beispiel in Berlin um 42, in Stuttgart um 40 und in München um 36 Prozent, sind sie in Hamburg in diesen sieben Jahren insgesamt nur um 16 Prozent gestiegen, jedes Jahr um durchschnittlich rund zwei Prozent.

Bergedorf extra: Das tun nicht alle Städte.

Peter Tschentscher: Würden wir keine Wohnungen bauen, würden die Mieten so stark steigen, dass sich viele Menschen das Wohnen in Hamburg nicht mehr leisten können. Dann müssten viele Menschen ihre Heimatstadt verlassen, so wie es in anderen Städten seit Jahren passiert. Das wollen wir nicht. Deshalb werden wir auch in Zukunft jedes Jahr 10.000 neue Wohnungen genehmigen. Wir stehen fest an der Seite der Mieterinnen und Mieter.

Bergedorf extra: Mehr Wohnungen bedeuten auch mehr Menschen. Wird es also jetzt ungemütlicher in Hamburg?

Peter Tschentscher: Wir sind der klaren U?berzeugung, dass Wachstum keine Gefahr, sondern eine große Chance fu?r alle ist. Hamburg hat die gleiche Einwohnerzahl wie Wien, aber doppelt soviel Fläche. Das sind gute Voraussetzungen, wenn man Wachstum richtig gestaltet.

Bergedorf extra: Wie gestaltet man das Wachstum richtig?

Peter Tschentscher: Indem man auch die Qualität verbessert. Das bedeutet zum Beispiel bessere Parks und Grünanlagen, Busse und Bahnen oder Schulen. Wir haben beispielsweise seit 2011 insgesamt rund 670 Hektar Flächen neu unter Naturschutz gestellt. Und obwohl Hamburg wächst, wollen wir den Anteil der Naturschutzgebiete auf zehn Prozent erhöhen. Oder ein anderes Beispiel: Wir haben eine Schulbauoffensive gestartet und dazu die Mittel für den Schulbau mehr als verdoppelt. Von 2011 bis 2030 werden drei von vier Hamburger Schulen modernisiert, saniert oder ausgebaut. Alle zwei Jahre investieren wir in den Schulbau so viel Geld, wie die ganze Elbphilharmonie gekostet hat. Das hat es in Hamburg noch nie gegeben.

Bergedorf extra: Schulen bestehen aber nicht nur aus den Schulgebäuden.

Peter Tschentscher: Ja, das ist richtig. Guter Unterricht ist die Grundlage für den Bildungserfolg unserer Kinder. Deshalb haben wir viele gute Lehrkräfte eingestellt und die Schulklassen verkleinert. Wir haben heute zwar rund 13 Prozent mehr Schülerinnen und Schüler als 2011 - aber an unseren Schulen arbeiten 35 Prozent mehr Lehrkräfte und Pädagogen. Das zeigt: Wachstum und Qualitätsverbesserung passen gut zusammen.

Bergedorf Extra: Viele Bundesländer bieten zu wenig Betreuungsangebote für Kinder. Für Alleinerziehende und berufstätige Eltern ist das ein großes Problem. Macht Hamburg hier genug?

Peter Tschentscher: Und ob! Wir haben für jedes Kind einen Kita-Platz bereitgestellt und die hohen Kita-Gebühren des Vorgängersenats abgeschafft. In den nächsten Jahren werden wir zudem erheblich mehr Erzieherinnen und Erzieher einzustellen und die Gruppen deutlich verkleinern. Das gilt auch für die Schulen. 2010 hatten nur 25 Prozent aller Grundschulkinder die Möglichkeit, nachmittags in der Schule gut betreut zu werden. Heute kann jedes Kind nachmittags in der Schule bleiben, wenn die Eltern das wollen. Fast 85 Prozent aller Grundschulkinder nehmen dieses kostenlose Angebot gern wahr. Hamburg liegt damit einsam an der Spitze aller Bundesländer. Auch dieses Angebot verbessern wir in den nächsten Jahren mit zusätzlichen Pädagogen.

Bergedorf extra: Neue Schulen, mehr Pädagogen sowie viele andere Verbesserungen müssen bezahlt werden. Geht Hamburg bald das Geld aus?

Peter Tschentscher: Wer gut regieren will, muss vernünftig mit Geld umgehen. 2009 und 2010 - vor unserer Regierungszeit - hat unsere Stadt jedes Jahr fast eine Milliarde neue Schulden gemacht. Im Haushaltsergebnis lag Hamburg damals im bundesweiten Vergleich auf den letzten Plätzen. Wir haben die fatale Finanzpolitik des schwarz-grünen Vorgängersenats beendet und einen konsequenten Konsolidierungs- und Wachstumskurs eingeschlagen. 2017 und 2018 hatte Hamburg pro Jahr rund eine Milliarde Überschuss im Gesamthaushalt! Wir bringen unsere Stadt in Ordnung, tilgen alte Schulden, treffen Vorsorge fu?r die kommenden Jahre und investieren wieder in wichtige Zukunftsprojekte für uns und die nachfolgenden Generationen. Diesen Kurs werden wir fortsetzen.

Bergedorf extra: Wer in Hamburg lebt, ärgert sich häufig über den Verkehr. Die einen fordern deshalb mehr Parkplätze und breitere Straßen, die anderen wollen ganze Stadtteile für den Autoverkehr sperren. Was ist ihre Antwort?

Peter Tschentscher: Wir haben die ganze Stadt im Blick und machen keine einseitige Politik gegen die eine oder andere Gruppe der Verkehrsteilnehmer. Wir wollen die Verkehrsinfrastruktur so ausbauen, dass man auf unterschiedlichen Wegen durch die Stadt kommen kann, mit Bus, Bahn, Auto Fahrrad und zu Fuß. Deshalb haben wir 2011 begonnen, den jahrelangen Sanierungsstau bei den Straßen, Radwegen und Fußwegen zu überwinden. Ich kann alle verstehen, die sich über Baustellen ärgern. Aber ohne Baustellen würden unsere Straßen und Wege verkommen.

Bergedorf extra: Ein gutes Verkehrskonzept sorgt nicht nur für die Mobilität der Bürgerinnen und Bürger, sondern leistet auch einen Beitrag gegen den Klimawandel.

Peter Tschentscher: Richtig. Ich nehme die Klimapolitik sehr ernst und habe deshalb dafür gesorgt, dass der Senat einen bundesweit beachteten, ambitionierten Klimaplan verabschiedet hat. Dazu gehören zum Beispiel zahlreiche Entlastungen bei den Fahrpreisen. Wir wollen, dass alle Schüler künftig kostenlos Bus und Bahn fahren können. Wir wollen das HVV-Monatsticket für Auszubildende auf nur 30 Euro reduzieren. Und wir wollen, dass Seniorinnen und Senioren künftig mit dem Seniorenticket in der gesamten Tageszeit fahren können. Dadurch werden mehr Menschen unsere klimafreundlichen öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Denn alle unsere Züge fahren beispielsweise mit Ökostrom. Und wir werden bei den städtischen Busunternehmen HOCHBAHN und VHH ab 2020 nur noch emissionsfreie Busse anschaffen.

Bergedorf extra: Das Angebot wird preiswerter, aber wird es auch besser?

Peter Tschentscher: Eindeutig ja. Der HVV besteht aus über 30 Verkehrsunternehmen, von denen viele bereits in der Vergangenheit ihr Angebot verbessert haben. Moderne Busse mit WLAN, Klimaanlage und Internet, U-Bahnen im 5-Minutentakt, da ist schon einiges passiert. Besonders erfolgreich ist die Hamburger Hochbahn, die ja die U-Bahnen und viele Buslinien organisiert. Sorgen macht uns die S-Bahn als Tochter der Deutschen Bahn. Die Bahn hat jahrelang zu wenig in die Modernisierung der Schienennetze investiert, das rächt sich jetzt mit dauernden Verspätungen und Zugpannen. Damit sind wir sehr unzufrieden, aber die Bahn ist leider ein eigenes Unternehmen, dessen Firmenpolitik wir nur schwer beeinflussen können.

Bergedorf extra: Was soll denn in den nächsten Jahren besser werden?

Peter Tschentscher: Die Menschen im Bezirk Bergedorf brauchen eine leistungsfähige S-Bahn. Den Betrieb der S2, bislang nur Verstärkerlinie, werden wir deshalb kontinuierlich ausweiten und mit mehr Vollzügen ausstatten. Unser Ziel ist es, die S2 zu einer vollwertigen S-Bahn-Linie zu machen, die nicht nur in den Hauptverkehrszeiten fa?hrt. Außerdem wollen wir auf der S2 den Einsatz von 9-Wagen-Zügen ermo?glichen.

Bergedorf extra: Und wie geht es weiter mit Bus und Bahn insgesamt?

Peter Tschentscher: Wir wollen Bus und Bahn so ausbauen, dass man mittelfristig an jedem Ort der Stadt in fünf Minuten ein öffentliches Verkehrsmittel erreichen kann. Deshalb planen wir in den nächsten Jahren 600 neue Bushaltestellen. Und wir wollen die Zahl unserer Busse von derzeit 1.500 um 50 Prozent auf 2.250 erhöhen. Dadurch wollen wir 50 Prozent mehr Fahrgäste gewinnen. Das wäre ein wesentlich größerer Erfolg für den Klimawandel und die Mobilität in der Stadt als die heiß diskutierten Autoverbote in den Innenstädten.

Bergedorf extra: Bürgermeister Tschentscher, wir danken Ihnen für das Gespräch.